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Das Tor zur Neustadt

Für ein paar Monate wurde am Anfang der Friedrich-Ebert-Straße, kurz nach der Wilhelm-Kaisen-Brücke in Richtung Neustadt gebaut, gehobelt und gehämmert. Teile des Papps befinden sich immer noch im Bau oder Umbau, weswegen auch weiterhin Späne fallen werden. Der Papp, eine nun seit einem Jahr geöffnete Kneipe, hat sich ein neues Gewand gegeben und angebaut. Seit ein paar Monaten gibt es jetzt eine Galerie mit Cafénutzung, das Papp Café, den umdekorierten Papp, die Kneipe, in der nach wie vor regelmäßig Konzerte und andere, vor allem nächtliche Veranstaltungen stattfinden sollen und das Portland, wo vegane und vegetarische Speisen zum Mitnehmen erstanden werden können. Pünktlich zur EM war fast alles fertig, zumindest gab es Toiletten und Bier, die Hauptfunktionen einer Kneipe in diesem Zeitraum waren hiermit erfüllt. Die Bierbänke und das einzige Sofa standen in Position, Leinwand und Beamer waren präpariert. Nach der EM wurde dann auch Essen angeboten. Diesbezüglich wurde sich an einem Take-Away-Konzept probiert, vegane und vegetarische Speisen gibt es vorrangig zum Mitnehmen. Am letzten Samstag (20.08.2016) stand nun die Eröffnungsparty ins Haus. Den ganzen Tag über gab es Programm, was einen Flohmarkt am Vormittag und einige musikalische Highlights bis in die Nacht bereithielt.

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Im ganzen letzten Jahr hat sich auf dieser Neustädter Freifläche ziemlich viel geregt. Es gab verschiedene temporäre Nutzungen, wie Lichter der Neustadt, ein alternativer Weihnachtsmarkt im letzten Winter, Kicker-Turniere, offene Lindy Hop-Tanzveranstaltungen oder die zwischenzeitliche Umwandlung des Areals in einen Skatepark.

Die Betreiber des Papps wollen diese Ecke der vorderen Neustadt zu neuem Leben erwecken und ein „Tor zur Neustadt“, so der O-Ton, sowohl baulich als auch gedanklich manifestieren. Bei diesem Vorhaben erhalten sie deutliche Unterstützung des Neustädter Ortsbeirates, was sich bei bisherigen Genehmigungen bezüglich der konkreten Umsetzung aber auch in der Beiratssitzung am 16.06.2016 gezeigt hat.

Bei der Sitzung stellten die Konstrukteure des Neustädter Tors ihr Nutzungskonzept für den Platz vor dem Papp vor. Bei der besagten Freifläche, die zwischen der Friedrich-Ebert-Straße 1-9 liegt, handelt es sich um einen Raum, der bis vor einem Jahr primär vom Passieren als vom Flanieren geprägt war und somit eher als Ort des Transits fungierte. Das Nutzungskonzept der Kneipiers sieht nun eine dauerhafte Grünflächengestaltung mit integrierten Fahrradständern sowie die Installation ständiger Sitzgelegenheiten vor. Die Betreiber des Papps setzen sich außerdem dafür ein, dass auf dem Platz zukünftig verschiedenste Veranstaltungen stattfinden, die diesen Raum in Szene setzten. Die Platzbelebung soll mit Veranstaltung ganz unterschiedlicher Formate erfolgen. In der Beiratssitzung wurden zunächst folgende unterschiedliche Ideen kommuniziert: Streetfoodmarkets, Flohmärkte, Kunsthandwerkmärkte, Wochenmärkte, Open-Air-Veranstaltungen sowie Freiluftkino und Konzerte, Public Viewing, Treffpunkt, Naherholung, Spiel und Spaß.

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Die Ideenwerkstätte der Pappinhaber feiert im Oktober 3-jähriges Bestehen. Die Betreiber des Papps sind gleichzeitig auch die Betreiber des Kartons, Café, Kneipe und Restaurant sowie Veranstaltungsort, drei Meter weiter vom Papp in Richtung Teerhof.

Vor dem „Papp-Karton“ war die Dete, eine Zwischennutzungsprojekt in der Lahnstraße, die Spielwiese von den Papp-Kartonisten. Im alten Möbelhaus Deters realisierten sie von Herbst 2013 bis Sommer 2014 gemeinsam mit anderen kreativen Köpfen ein Kulturveranstaltungszentrum mit Atelierräumen und Café-Kneipen-Laden. Diese ganz unterschiedlich gearteten Projekte verdeutlichen, dass Stadtentwicklung nicht nur von oben geplant und umgesetzt, sondern auch von Leuten vor Ort mitbestimmt wird oder zumindest werden kann.

Die Offenheit des Ortsbeirats in der Bremer Neustadt bezüglich Veränderungen im Stadtteil erfreut und frustriert zugleich. Erfreulich ist es natürlich allemal, dass sich eine Alles-Ist-Möglich-Euphorie breit machen kann und die Tür in Richtung mehr Mitbestimmung und Bürgerliche Mitgestaltung im öffentlichen Raum und in der Stadt ganz allgemein aufgestoßen wird. Denn ein Recht auf Stadt sollte schließlich beinhalten, dass Räume durch ihre BewohnerInnen geprägt und verändert werden können. Ein funktionierendes demokratisches Stadtgefüge sollte sich dadurch auszeichnen, dass ihre BewohnerInnen direkten Zugang und Zugriff auf den öffentlichen Raum haben, da sie ja letztlich die HauptnutzerInnen dieser Plätze selbst sind. Bedenklich an dem Mitwirken ist jedoch gleichzeitig, dass sich im Raum im Moment der Mitgestaltung einzelner BürgerInnnen oder Gruppenzusammenhänge auch deren städtische Interessen manifestieren. Somit kann gemutmaßt werden, dass sozialprivilegiertere Menschen oder Gruppen raumprägender handeln und somit über mehr Einfluss verfügen als Sozialschlechtergestellte, womit sich das soziale Ungleichgewicht einmal mehr im Raum widerspiegelt und stadtteilprägend wird. Eine Neutralität ist also keines Falls gewährt. Je mehr sich die Stadt, also der Staat auf kleinteiliger Ebene, zurückzieht, umso mehr können sich BewohnerInnen-Interessen durchsetzen. Die Krux an diesem Prozess, auch als Governance bezeichnet, ist, dass die Gefahr besteht, dass sich der Staat immer weiter zurücknimmt und letztlich viele ursprünglich staatliche, in diesem Fall städtische Aufgaben, nicht mehr übernimmt, sondern mehr und mehr Verantwortung in private Hände gegeben wird. Was im Endeffekt dazu führen kann, dass Menschen, die über mehr Kapital verfügen, praktisch mehr Mitbestimmungsrecht in der räumlichen Planung eingeräumt wird.

So gilt es also auch die eigentlich gern gesehene Verantwortungsübertragung der städtischen Akteure auf die Bürgerschaft kritisch zu hinterfragen und sich immer wieder vor Augen zu halten, welche Interessen hinter welchen Entscheidungen stehen. Die Stadt muss ihrer Funktion als Umsetzer jedoch nach wie vor nachkommen und jenen eine Stimme verleihen, die normalerweise nicht das Erscheinungsbild unserer Städte maßgeblich durch Eigeninitiative prägen.

 

Text und Bild von Anna-Luise Götze